Archiv
2019 VICINITY - Ausstellung, Eisfabrik Hannover - Galerie
2015 Hinter den Höfen - Galerie
Landleben und Malerei - Text von Giso Westing
2011 addition-progression-ornament - Galerie
2006 Heracleum - Galerie
2002 soft-edges - Galerie
1993 Fußballtore - Galerie
1987 Doppelbilder - Galerie
1984 hard-edges - Galerie
Hinter den Höfen
Landleben und Malerei
Jochen Weise und ich haben uns in Meinersen getroffen, um gemeinsam die neuen Arbeiten anzusehen und das Ganze noch einmal gedanklich durchzugehen. Abseits der Hauptstraße gehen wir an den Fischteichen entlang zum Okerwehr. Worin liegt denn nun der Reiz dieses Ortes, wo ist hier die Kunst versteckt und wie wird ein Motiv kunsttauglich? Der Landkreis ist ein Verwaltungsbezirk, er ist aber auch eine Gegend, ein ländliches Gebiet, wo gelebt, gearbeitet, gegärtnert und moderne Landwirtschaft betrieben wird. Es ist ein Ort der praktischen Tätigkeit, des Bauens und Werkelns, ein theoriefremder Ort, an dem sich Kunstgedanken wundersam fremd ausnehmen. Hinter den Höfen, wo man nicht so genau hinsieht, ist allerlei gelagert, gestapelt abgelegt oder schlicht vergessen worden. Die Entwicklung der Kunst wurde ja angetrieben durch die Auseinandersetzung mit der Nichtkunst oder Nochnichtkunst. Van Gogh sah in jedem Kehrichthaufen schon Bilder, Marcel Duchamp machte aus Alltagsgegenständen Antikunst und Kurt Schwitters machte Bilder und Objekte aus Abfall. Der Gedanke, die Kunst dort zu suchen, wo man sie nicht traditionell erwartet, hat Tradition. Jochen Weise kennt sich aus, er hat die Kataloge studiert, die Ausstellungen gesehen, sich für die Positionen von Hockney, Polke, David Salle oder Mangold und Lasker begeistert und vor allem immer wieder die Diskussion mit Kollegen gesucht. Er hat vieles ausprobiert, immer neue Serien erarbeitet, Bildfolgen erdacht, um schließlich hier in Meinersen etwas zu finden, das seinem jetzigen Erfahrungsstand gemäß ist. Denn es ist schwer, so etwas zu malen. Es soll ja nicht bloß dokumentiert werden, auch nicht sinnlos verfremdet und deformiert werden. Es geht um minimale Versetzungen, leichte Verschiebungen beim Einsatz der malerischen Mittel. Immer wieder hin- und herzupendeln zwischen der bloßen Farbe als Material, einer flächigen Malweise und explizit herausgearbeiteten Details, damit das Bild auch lebt von den verschiedenen Graden der räumlichen Darstellung. Das Motiv soll ja nicht überwunden werden, im Gegenteil, mit Hingabe und Liebe zur Sache wird das Ganze entwickelt in vielen Schritten. Wie viel Perspektive und Raumillusion dürfen sein, wie viel davon ist notwendig? Eine kleine helle Linie an einer Fläche macht schon eine Lichtkante... Jochen Weise kommt die durch Ausbildungen als Technischer Zeichner und Werkzeugmacher erworbene Präzision im Arbeiten zu Gute. Auch übt er sich immer erneut in der Wiedergabe von Landschaften und überhaupt Gegenständlichem, mit den Mitteln der Zeichnung, dem Holzschnitt und der Malerei mit Wasserfarben. Mit der Kamera geht er auf die Suche oder hält Gefundenes fest. Schließlich muss genau ausgewählt werden, weil bekannte Kollegen, wie Norbert Tadeusz schon eindrucksvolle Bilder zum Thema geliefert und Maßstäbe gesetzt haben. Jochen Weise sind die Nuancen in Tendenz und Aussage, in Ausdruck und Botschaft wichtig. Dadurch hat er seine eigene Variante, diese Form des Lapidaren und Tockenen wie auch der feinen Ironie kultiviert. Das Vorgehen erinnert an das Schreiben von Arno Schmidt, der sich in den stilistischen Formen auskannte und sich mit diesem gewaltigen Fundus den banalen Begebenheiten auf dem Lande angenommen hatte. Auch hier diese Differenz zwischen einem theoretischen Bewusstsein und der ganz normalen, natürlichen Lebenswelt. Die Dinge, die hier vorkommen, gebraucht werden oder einfach nur so herumliegen, in ihren Formen, ihrer Farbigkeit und Oberfläche sind manchmal die reinsten ästhetischen Glücksmomente. Wir kommen zu einer winzigen Hütte am kleinen See. Ein paar Stangen und Gerümpel liegen dahinter und an der Seite... aber: Guck mal, wie es da schon liegt! Sagt Jochen und das ist es, so kann man das nennen, genau, das ist doch der eigentliche Grund für die Bilder.
Aus der Eröffnungsrede zur Ausstellung: addition-progression-ornament, von Jochen Weise im Künstlerhaus Meinersen , 2011
Was bringt einen Menschen dazu, mit einem Schraubenzieher 24000 gleichmässige Löcher in
ebenso gleichmässigen Abständen in einen etwa 1qm grossen Zeichenkarton hinein zu stanzen?Denn das hat Jochen Weise getan. Im Jahre 1982 hat er sich an diese Arbeit herangemacht, er hatdie Löcher gestanzt, um dann die Abstände dazwischen mit blauem Zeichenstift mit einem Musteraus Halbkreisen zu bedecken. Mit dieser selbstauferlegten Probe monatelanger konzentrierter Kleinarbeit, zu täglich 8 Std., hat er sich zu Mehrerem gleichzeitig selbst befragt:
Bin ich in der Lage, eine Idee, trotz aller Mühsal zu verwirklichen?
Kann mich ein und dieselbe Sache lang genug fesseln?
Hält das von mir entwickelte Konzept auch der Ausführung stand? Und das Bild funktionierte.
Nach dieser Prüfung war für den gelernten Werkzeugmacher und Amateursportler Jochen Weise,der einst bei Göttingen 05 im Tor stand und ein begeisterter Radsportler ist, der in Hannover und Braunschweig Kunst studierte, sich als Kneipenwirt betätigte und auch in Hannovers Nordstadt eine Galerie betrieb, klar, dass für ihn fortan die Kunst nicht nur eine Möglichkeit, sondern d i e Möglichkeit sein sollte. Denn er hat sich auch nicht dadurch entmutigen lassen, dass das neue Werk nicht verstanden wurde und ausjuriert wurde. Im Gegenteil – er nahm seine meditative Bilderserie „die Reise nach Lhasa“ in Angriff.
Diese Reihe von streng aufgebauten und sehr klar gemalten Bildern ist eine geschlossene Werkgruppe und ein Anstoss für Jochen Weise, bildnerische Ideen, Probleme und Konzeptionen jeweils in Serien abzuhandeln. Es gibt nämlich im künstlerischen Anliegen von Jochen Weise zwei sich ergänzende wie auch sich gleichzeitig widersprechende Entwicklungsstränge, die seinen Begriff von Bilderwelt abdecken: Da sind einerseits die in dieser Ausstellung gezeigten, sich aus sich wiederholenden und variierenden Strukturelementen entwickelnden Bilderserien und auf der anderen Seite die zusammen gesetzten, eher montierten Bildwelten, die völlig heterogene Elemente zusammenbringen.
Und genau in diesem Dualismus drückt sich ja auch unsere Existenz als Menschen aus. Wir sind im Strom sich laufend verändernder Gegebenheiten und wechselnder Ereignisse, in einer unruhigen Bilderflut – und ebenso sind wir gleichzeitig in einem gleichförmigen Kontinuum nicht nur in Atmung und Herzschlag sondern es begleiten uns auch wiederkehrende Gedanken und Vorstellungen. Und so ergibt sich aus der Tatsache, dass Jochen Weise diesen beiden Aspekten in seinen Bildern Ausdruck verleihen will auch sein Kunstbegriff, der zwar einer gewissen Stilistik sich bedient, aber ganz bewusst sich nicht spezialisieren will auf ein winziges Teilgebiet, wie wir es ansonsten so oft erleben in der zeitgenössischen Kunst.
In dieser Ausstellung geht es um Addition, Progression und um das sich entwickelnde Ornament.
Die ersten beiden Wörter drücken etwas, das in Bewegung ist aus, hingegen ist das Ornament etwas Gewordenes. Die Reihung ist ein paradoxes Phänomen, sie ist eine Art rasender Stillstand.
Das immer Gleiche, sich wiederholende kommt in Bewegung durch die Wiederholung. Und je weiter das Prinzip der Reihung fortschreitet, desto mehr entsteht zwar eine Ruhe durch flächendeckende Ordnung – aber diese Ordnung ist durch ein inneres Gewimmel, durch das Gewimmel der Häufung und der Steigerung unterwandert.
Und die Tatsache, dass wir nicht nur die einzelnen ordnungsgebenden Elemente sehen, sondern auch die Zwischenräume ebenso sehr mit gesehen werden; also der Blick in einer permanenten Unruhe gehalten wird, das ist nur eine, und zwar die vordergründigste der möglichen Erklärungen des Phänomens. Wann wird die Addition des Immergleichen zur Progression? Nach wie vielen Strichen sehen wir etwas anderes als eine Anzahl gleicher Striche? Wann hören wir überhaupt auf, zu zählen und ab wann kommt Leben in die Zeichnung, wann beginnt überhaupt Zeichnung oder ein Bild?
Wir sehen hier eine Serie von ganz einfachen Blättern, denen variierte Grundmuster, sogenannte Module zugrunde liegen. Diese Fächermodule wurden von den Blütendolden der Herakleum abgeleitet. Durch den Zwang unseres Sehens, Bezüge und Bedeutungen herzustellen, sehen wir folglich auch in jeder veränderten Anordnung der Module auch etwas anderes, obwohl die Sache so überschaubar ist. Wir können schematische Andeutungen in komplexere Vorstellungen verwandeln, das heisst ,das unser Sehen auch immer ein erschaffender Vorgang ist. Gleiches gilt auch für die Serie aus kleinen Halbkreisen, die wir gerade durch diese Anordnung als „organisch“ begreifen; auch hier können Einzelteile, die für sich genommen, nichtig sind mit einem Mal anfangen zu wuchern, zu ranken und irgendwie eine eigene „Biologie“ entwickeln. Im übertragenen Sinne kann man solche Arbeiten auch begreifen als Beitrag zu der metaphysischen Frage nach dem Leben. Wann beginnen blosse Komponenten mehr zu sein als Anhäufungen von für sich gesehen noch toter Materie, ab wann setzt jene Verdichtung ein, die wir als Leben, als etwas Organisches bezeichnen können?
Diese Frage betrifft natürlich auch die Beseelung von Kunstwerken – auch wenn manchem dieser Ausdruck überholt vorkommen mag, so gilt es nach wie vor, „das Tote bildend zu beseelen“ (Schiller), das heisst nichts anderes als es der Beliebigkeit zu entreissen und zu einem Organon =Werk zu machen.
Auf diese Weise haben wir uns nun den Zugang zum Verständnis der bildnerischen Notwendigkeit auch der anderen Werkzyklen erschlossen. Wie der aus Fächern, die die Methode des Schnurschlags hervor bringt, eine alte Technik aus dem Malerhandwerk, bei der eine zurückschnellende Schnur einen Abdruck hinterlässt. In der weiteren Bearbeitung entstehen daraus Bilder, in denen ein merkwürdiges Leuchten ist und eine irritierende Räumlichkeit. Auch hier entsteht durch Häufung Dynamik. – Während in den farbigen Varianten dieser Blätter der Fächer oder Rhombus zu einem Ornament wird. Hier wird die Fläche geschmückt und sie bleibt Fläche. Dieses sind im engeren Sinne Kompositionen, in denen es um Farb- und Flächengewichtung geht und um Aufhebung der Fläche zugleich. Merkwürdigerweise werden Flächen durch Aufteilung vergrössert, was man sehr
schön sehen kann an den kleinen Formaten mit den ovalen, exzentrischen Kreisen, die auch über das Bild hinausgehen und genauso auf den Raum ausserhalb des Bildes sich beziehen.
Nun haben wir viel vom Einzelnen und seinen einzelnen Teilen, die zusammen einzelne Bilder ergeben – und ganz bewusst nicht eine Komplexität als Verständnis vom „Weltganzen“ bedeuten sollen, denn minimalistische Praxis wie sie hier betrieben wird, will nichts anderes als das, gesehen, gehört und erfahren. Und wir haben auch bemerkt, wie durch die konsequente Thematisierung des Gleichen sowie des Ähnlichen Bewegung in unsere Wahrnehmung kommt: Denn Vergleichen und Unterscheiden ist der gleiche Vorgang. Wir springen laufend hin und her zwischen gleich und ungleich, wir ab- gleichen und ver – gleichen. Je gleicher oder je ähnlicher es ist, desto stärker tritt der Unterschied in Kraft – und so fort – nur gibt es nicht zweimal dasselbe zugleich – das ist logisch unmöglich. Und deshalb sagt Hegel: Das Identische ist der absolute Unterschied!
Zum Schluss kehren wir zu einem Umkehrschluss in Jochen Weises Arbeit zurück, zu den von ihmso benannten „Softedges“. Hier werden einzelne pastose Pinselstriche thematisiert, als Einzelne.
Und sie bleiben einzeln als Huldigung an die Körperhaftigkeit der Farbe als Substanz. Jochen
Weise will hier nicht die Beziehung im Bilde – sondern die Beziehung der Bilder unter einander.
Ein einziges Bild in dieser Ausstellung stellt die Verbindung her zu seiner „anderen“ Bilderwelt:
Eine Darstellung eines Skaters, hinter dem die von Herakleum und Schnurschlag abgeleiteten Fächer hellgelb aufleuchten. Sind das nun die Funken, die stieben, oder sind es die Wunderkerzen
als Signal für eine reife Leistung? Egal, es gibt Assoziationen; und das sind ja gerade die Verbindungen zwischen den Welten.
Giso Westing
HERAKLEUM
Der seit mehr als 40 Jahren in Hannover tätige Künstler Jochen Weise hat in seiner künstlerischen Arbeit stets konsequent nach dem Prinzip der Serie gehandelt.
Er ist ein Erfinder, der neue Entdeckungen macht und diese farblichen, formalen oder auch emotionalen Kreationen zur Serie generiert.
So benutzt er die aus dem Malerhandwerk bekannte Schlagschnur als Ausgangsidee für Wandzeichnungen.
Die hierbei entstehenden Formen lassen durchaus an Naturerlebnisse, speziell an die fächerartigen Blüten des „Herakleum Sphondyleum“ denken - das handwerkliche Hilfsmittel wird zum künstlerischen Ausdrucksmittel.
Parallel zu den großen Wandzeichnungen entstehen Skizzen und eigenständige Fächer-Bilder in Mischtechnik und ÖL.
Ludwig Zerull
Soft edges
Michael Stoeber
Jochen Weise ist als Künstler ein Equilibrist. Gleich einem Spaziergänger der Luft versöhnt er in seinem Werk das Schwere und das Leichte und zieht disparate Elemente in gelingender Allianz zusammen. In seiner neuen Werkserie der "soft edges" - Tafelbilder, die im Grenzbereich zwischen Malerei und Bildobjekt operieren - verbindet der hannoversche Künstler die Handschriftlichkeit des Informel mit dem anonymen Farbauftrag der Minimal Art. Sie sind zudem eine Auseinandersetzung mit der Farbfeldmalerei des hard edge wie der Architekturtheorie des Bauhauses. Darüberhinaus markiert die Balance widersprüchlicher Elemente im Bild so etwas wie eine konkrete Utopie. Daß diese sich rein abstrakt artikuliert und gänzlich ohne erhobenen Zeigefinger macht den Reiz dieser Arbeiten aus.
Michael Stoeber
Kunstkritiker Hannover, 2003
Fußballtore
Dr. Stefanie Heraeus
In einer Serie aus sieben Blättern hat Jochen Weise mit schwarzer Tusche und Pinsel auf bräunlichen Karton fragile Objekte gezeichnet, die aus nur wenigen Linien bestehen. Eingefaßt werden die Arbeiten von breiten Rahmen aus rohem Stahl. Mit ihren Ansätzen von Rost und den glänzenden Ecken, die vom Abflexen der Nahtstellen stammen und auf des Schweißen hinweisen, kontrastieren die Rahmen zu den feinlinigen Pinselzeichnungen. Die Gegenüberstehung des unterschiedlichen Materials - hier der grobe Stahl dort die zarten Linien aus Tusche - reizt Weise.
Es entsteht der Eindruck, als würde er das Spielen mit Gegensätzen, das vor allem seine zweigeteilten Bilder bestimmt und regelrecht zu einem Stilprinzip seiner Arbeiten geworden ist, bei den "Sieben Variationen über ein Fußballtor" im Gegenüber von Blatt und Rahmen fortsetzen.
Auf den Zeichnungen ist in zwei leicht voneinander abweichenden Varianten ein und dieselbe Grundform aus unterschiedicher Perspektive dargestellt. Weise hat die Fußballtore aus der Hand nach Augenmaß gezeichnet, so daß sie nur in etwa von gleicher Größe sind. Das erneute Ansetzen des Pinsel ist zu erkennen, zuweilen auch die trockene Farbe des auslaufenden Strichs. Dies gibt den Formen Lebendigkeit und läßt den künstlerischen Entstehungsprozeß nachvollziehen.
Die Wirkung der Arbeit liegt in der Zusammenschau der einzelnen Blätter. Denn als Serie bilden die dargestellten Objekte eine Kurve, die leicht abfällt, wieder ansteigt, erneut abfällt und noch einmal ansteigt. Jedoch wird die Kontinuität dieser Kurve durch die sich ständig verändernde Ansicht der Objekte gestört. Erfolglos versucht man immer wieder, diese in der Vorstellung so zu drehen und zu wenden, daß die Serie eine „logische“ Abfolge ergibt.
Da die Objekte nur aus Linien bestehen und keine schattierten Flächen zu sehen sind, kommt es zu einer Art Vexiersspiel. Indem Weise beim Betrachter Erinnerungen an ganz unterschiedliche Gegenstände hervorruft, fordert er ihn auf, genau hinzuschauen. Zugleich kommt darin sein eigener Blick auf seine Umgebung zum Ausdruck: Weise spielt mit Gebrauchsgegenständen - hier mit Fußbballtoren, bei anderen Arbeiten mit Spülbürsten, Kleiderhaken oder Gardinenstangen.
Bei den „Sieben Variationen über ein Fußballtor“ hängt die Offenheit der Objekte für Assoziationen an verschiedene Gegenstände auch mit ihrer geometrischen und damit nahezu abstrakten Form zusammen. Nur bedingt scheint diese mit einem Fußballtor verwandt zu sein. Letztlich ist es vor allem der Titel, der eine solche Assoziation provoziert.
Warum wählt Weise ausgerechnet diesen herkömmlichen Gegenstand aus dem Bereich des Sports? Fußballtore, so sagt er, seien für ihn eine Art Kunstobjekt und hätten einen skulpturalen Wert, den man im Alltag meist übersehe.
Auf den Blättern mag die Konstruktion aus Linien an Fußballtore erinnern, doch vermitteln die dargestellten Formen nichts von der Stabilität und Statik realer Tore auf dem Sportfeld. Im Gegenteil, sie scheinen geradezu im „leeren“ Raum zu schweben und allmählich ihre Richtung zu ändern - wenngleich der Eindruck von Bewegung nur innerhalb der Serie entsteht.
Ein Denken in Folgen und sparsames Umgehen mit Motiven fällt auch bei anderen Arbeiten von Jochen Weise auf. Angefangen künstlerisch zu arbeiten, hat er mit Buntstiftzeichnungen, auf denen er in stundenlanger Arbeit große Flächen mit winzigen Ornamenten aus Linienkonfigurationen überzogen hat. Erst später hat er begonnen, solche Ornamente in Acryl oder Öl zu malen. Diese Arbeiten, die häufig mit zurückhaltenden, einfachen bildnerischen Mitteln gestaltet sind, wirken teilweise streng und kühl. Sie sind jedoch keineswegs - wie man vermuten könnte - wohl kalkuliert, sondern in einem Prozeß „meditativen“ Erlebens entstanden. Nur am Rande soll hier Weises langjährige, intensive Auseinandersetzung mit dem Buddhismus erwähnt werden, die er in Arbeiten wie dem Zyklus „Die Reise nach Lhasa“ (1985/86) auch künstlerisch umsetzte.
Natürlich sind die „Sieben Variationen über ein Fußballtor“ nicht unmittelbar mit jenen Bildern zu vergleichen. Doch ist auch ihnen ein Moment von Ruhe eigen, das sie in einen Zusammenhang mit anderen Arbeiten von Jochen Weise stellt.
Dr. Stefanie Heraeus
Doppelbilder
Ludwig Zerull
Jochen Weise malt offensichtlich seine Bilder kalkuliert. Allein schon die seit Jahren zum Stilprinzip erhobene Zweiteiligkeit macht uns das klar. Die traditionelle Bildform des Diptychon provoziert zwangsläufig eine dualistische, also bewßt wägende Sicht auf die Dinge. Die „Denk- und Erlebensfähigkeit berücksichtigend“ - auch das zwei Aspekte seiner Bildwelt - malt Jochen Weise pro Jahr, wie er sagt, „nur“ zehn bis zwölf große Bilder. Nun, in den letzten acht Wochen seiner „offiziellen“ Zeit im Künstlerhaus Meinersen, als Stipendiat der Niedersächsischen Sparkassenstiftung, hat er bereits vier Bilder gemalt: eine produktive Phase, eine neue Phase.
Als Jochen Weise hier angekommen war, im Herbst 1990, hatte er den „Herbst mit aufgearbeitet“ eine für ihn selbst überraschende künstlerische Haltung gegenüber dem Wandel der Jahreszeiten und der Natur. Es entstand zunächst eine stark von „naturalistischen“ Elementen bestimmte Serie, wenn man dem an Malformen der 50er Jahre erinnernden Abstraktionsgrad dieser Bilder den Begriff „naturalistisch“ zugestehen mag. Aber auch bei dieser Serie war jeweils nur die eine Seite des Diptychon dieser Erlebniswelt des Herbstes vorbehalten. Die andere Seite rückte diese Bilder wieder in den Bereich des Kalküls, in des Künstlers rationale Triebkraft.
Ein Malerkollege aus einer anderen Generation, der 1925 in Höxter an der Weser geborene Eduard Micus, hat über Jahrzehnte und bis heute solche dualistischen Bilder, wie sie Jochen Weise uns vorstellt, gemalt. Drum sei hier auf Merkmale hingewiesen, die unser Verständnis von Micus‘ wie Weises Arbeiten berühren:
1. „Verwandschaften der abstrakten Farbform zu bestimmten Erscheinungsbildern bis zu gegenständlicher Verdeutlichung sind als visuelle Reizmittel möglich, aber untergeordnet. Übergeordnet ist der Hinweis der Farbform auf Grundprinzipien, die den Aufbau des organischen und intelligiblen Lebens bestimmen. Dieser Aufbau ist ... durch Gegensätze bestimmt“, die eigentlich nicht zu beheben sind. In der Kunst- und Geistesgeschichte haben diese Gegensätze immer miteinander gerungen. Der Grundgegensatz läßt sich aber „nur vorübergehend durch gewaltsame Entscheidungen für die eine zu Ungunsten der anderen Seite verdecken“. (Das macht ein Künstler wie Jochen Weise deutlich: )Verschmelzung der Gegensätze führte zu Nivellierung.
2. Der Widerspruch einer Einheitlichkeit des Bildes wird provoziert, weil „wir in keiner homogenen Welt leben: der organisch gebildete Mensch wird zum Partner mechanischer Apparaturen, Betonklötze stehen visuell unvermittelt in der Natur, unkontrolliertes Leben spielt sich im festen Rahmen von Zeit- und Arbeitsplänen ab, etc“. (Zitate nach dem Manifest der von Eduard Micus mitbegründeten Künstlergruppe „SYN‘, 1967).
Die neuen, in Meinersen entstehenden Bilder von Jochen Weise sind in ihrer Erdfarbigkeit, vor allem aber in gelegentlichen Grenzüberschreitungen „Beweise“ für das Gesagte. War man früher von ihm eine abrupte Zweiteilung – ungegenständlich / gegenständlich oder Fläche / Raum oder Farbe / Zeichen - gewohnt, ist heute die deutlich bleibende Zweiteilung oft durch Irritationen verschleiert. Das geschieht mittels Nutzung vielfältiger neuer Oberflächen - und Materialwerte: Farbe gegen Naturbelassenes, reale Dreidimensionalität als Material-reiz und Irritation gegen das Imitat von Material. Die beiden Seiten der Sache, früher unverbunden, stehen heute oft raffiniert kalkuliert „unverbunden in Verbindung“.
Ludwig Zerull
Kunstkritiker, Hannover, März 1991
Hard edges
Ludwig Zerull
Oft, zu häufig, wird von den Apologeten der bildenden Kunst heutzutage das Adjektiv „meditativ“ oder der Ausdruck „Meditationsbild“ bemüht, wenn es sich bei einem Bild nur um ein stilles, ein zurückhaltendes, ein bescheidenes Bild handelt. Das ist in aller Regel hauptsächlich eine Kapitulation des Kunstschreibers vor der Sprachlosigkeit des Bildes. Und dabei ist ein sprachloses Bild doch in aller Regel ein gutes Bild, weil es keiner erzählenden Elemente bedarf.
Die neuen Arbeiten von Jochen Weise, die in den letzten zwei Jahren entstanden sind und nun erstmals gezeigt werden, dürfen dagegen mit Fug und Recht als „meditativ“ bezeichnet werden. Denn was auf den ersten Blick so streng und manchmal kühl an diesen Bildern erscheint, ist keineswegs kalkuliert entstanden, sondern meditativ erlebt.
Jochen Weise kam erst von aus Ornamenten zusammengesetzten, surrealen Buntstiftzeichnungen zu ornamentalen und auch seriellen Bildern. Ein gewisser Hang zum Ornament ist ihm geblieben. Die Motivation der jetzt gezeigten Bilder ist allerdings eine grundsätzlich andere.
Über die Lektüre von Sven Hedins Tibet-Reiseberichten und durch Korrespondenz mit dem Tibet-Experten und Freund des 14. Dalai Lama, Heinrich Harrer kam Jochen Weise in den letzten Jahren zu intensiver Beschäftigung mit dem Buddhismus.
Der Tantrismus ist ein hauptsächlich rituell ausgerichtetes Glaubenssystem, das viele Elemente anderer Glaubensrichtungen zu einer Synthese verschmolzen hat.
"Die Kunst, die sich aus der Praxis des Tantrismus entwickelt hat, umfaßt eine große Vielfalt bildlicher Darstellungen, von denen das Yantra, ein geometrisches Diagramm mit abstrakten Symbolen, eine der lebendigsten und zentralsten ist. Zusätzlich zu seiner mathematischen Vollkommenheit hat das Yantra eine allgemeingültige Wirkung auf der Ebene der Archetypen. Ähnliche Formen tauchen in fast allen Religionen wieder auf und wirken als Symbole für die kosmischen Geheimnisse, mit deren Hilfe der Mensch seinen ursprünglichen Bewußtseinszustand wiederentdeckt.“
Hier hat Jochen Weise mit seinen einfachen, manchmal monumentalen Bildern angesetzt. Sie scheinen aus der amerikanischen - und nur formal orientierten - Kunstrichtung der „hard-edge“-Malerei (einer Malerei der „harten Kanten“) zu kommen, gehen aber in Wahrheit, wie nicht nur die Titel beweisen, auf „die Reise nach Lhasa“.
"Die goldenen Dächer des Potala“‘ „Schnee auf dem heiligen Kailas“, „schwarzer Bön“ - das sind Titel von konstruktiv-spirituellen Bildern, die Jochen Weise malt, bis - wie er sagt - er „eines Tages in Lhasa angekommen“ ist.
Auf uns, die wir uns mit der esoterischen Disziplin der indischen Tradition kaum beschäftigt haben, wirken diese Bilder Jochen Weises durch das ihnen eigene Prinzip des Archetypischen.
Wir fühlen mehr, als daß wir es erkennen, die Stimmigkeit der Formen und Farben, uns irritieren die Sparsamkeit und die gelegentliche Randbezogenheit dieser Entwürfe, die Jochen Weise, so konstruiert sie auf den ersten Blick wirken mögen, nicht konstruiert, sondern malerisch erfühlt und konzentriert erspielt hat.
Das Maßband, das bei diesen Bildern anzulegen man geneigt sein könnte, würde uns die kühl kalkulierte Welt nicht ermessen, die diese Bilder vorzugeben scheinen.
Diese Bilder erschließen sich nicht über die Ratio, sondern eben nur „meditativ“.
Elias Canetti hat einmal gesagt: „Nur ein Bild kann einem ganz gefallen, aber nie ein Mensch. Der Ursprung der Engel.“
Ludwig Zerull
Kunstkritiker Hannover, 1985